
„Eine aus China und Japan stammende Behandlung, bei der mit feinen Nadeln Beschwerden beeinflusst werden sollen“ – so etwa lautet die anerkannte, deutsche Übersetzung für Akupunktur. In der TCM zählt die Behandlung zu den wichtigsten Therapiemethoden. Höchste Zeit, dass wir uns diese genauer ansehen! Um zu verstehen, was mit den Nadeln erreicht werden kann und wie dabei vorgegangen wird, haben wir bei TCM-Expertin Johanna Stoll nachgefragt.
Liebe Johanna, was können wir uns unter Akupunktur vorstellen?
Johanna Stoll: „Akupunktur ist ein empirisches System. Das
bedeutet, es wurde durch Ausprobieren entdeckt. Die Menschen bemerkten schon
vor Jahrtausenden (übrigens auch in den Alpen), dass das Drücken bestimmter
Punkte eine Auswirkung auf das Schmerzempfinden haben kann. Diese Beobachtungen
wurden über die Zeit verfeinert und weitergegeben. Die vielen Geschichten der
Entwicklung der Akupunktur und ihrer Spezifikationen, wie bestimmte
Punktkombinationen, sind in unglaublich umfangreichen Werken der Chinesischen
Literatur festgehalten.“
Welche Rolle nimmt Akupunktur in der TCM ein?
Johanna Stoll: „Eine sehr große Rolle. Es gibt viele
umfangreiche Werke, die in die Tiefe dieses Wissens vordringen. China steht für
Pragmatismus; es zählt nur das, war wirkt. Dass die Akupunktur dort und auf der
ganzen Welt schon seit Jahrtausenden für die verschiedensten Zwecken angewendet
wird, spricht für sich.
Einher geht die Akupunktur mit einem weiteren großen Zweig
der TCM, der Diäthetik und Kräuterkunde. Einige TCM-Experten sind der Meinung,
Akupunktur sollte immer mit Kräutern und Diäthetik kombiniert werden. Auch ich
teile diese Ansicht. Denn mit Akupunktur lenkt man Energie: Wo zu viel ist,
lässt man sie abfließen; wo eine Stauung ist, durchdringt man diese und löst
sie auf. Wenn allerdings zu wenig Energie da ist, ist es durchaus sinnvoll
diese durch Wärme (Moxibustion) oder Nahrungsergänzungsmittel aufzubauen.
Hierzu zählen sicher die Vitalpilze.“
Wie funktioniert Akupunktur?
Johanna Stoll: „Die Wirkung basiert auf einer Art
Leitbahnsystem in unserem Körper, den Meridianen. In diesen Meridianen fließt
ein sehr feiner Strom, das Qi. Dieser Strom und auch der Verlauf, den er nimmt,
kann mit Wärmebildkameras sichtbar gemacht werden. Solch eine Energieleitbahn
gibt es für jedes Organ, zum Beispiel die Herz-Leitbahn oder den
Leber-Meridian. Sie alle hängen in einem sogenannten Funktionskreislauf
zusammen. Spricht man also in der TCM davon, dass die Nieren tonisiert werden müssen,
ist damit nicht nur das Organ gemeint, sondern ein ganzer Funktionskreislauf.
In diesen Leitbahnen kommt es häufig zu Stauungen. Diese
verursachen Unwohlsein oder eine Leere, die für Erschöpfung oder Fehlfunktionen
im Organismus sorgt. Meist ist entweder zu viel oder zu wenig Energie im
Umlauf. Über dreidimensionale Akupunkturpunkte kann der Fluss gesteuert werden;
ähnlich wie wir den Lauf des Wassers in einem Flussbett lenken können. Wo diese
zu finden sind, zeigen Akupunkturpuppen oder -poster sehr anschaulich.
Diese Punkte können wir uns als eine Art Sammelstelle auf
den Leitbahnen vorstellen. In ihnen sammelt sich das Qi. Optisch wären sie am
besten mit kleinen Teichen vergleichbar. Einen solchen Teich nennt man
Akupunkturpunkt. An diesen kann das Qi besonders gut gelenkt, gestärkt oder abgeleitet
werden. Genau darauf zielt die Akupunktur ab: Die Steuerung des Flusses der
Lebensenergie Qi über diese Punkte.“
Wie spüren wir, dass unsere aufgestaute Energie wieder in Fluss geraten ist?
Johanna Stoll: „Werden die Stauungen oder die Leere
aufgelöst, verschwindet die Ursache für Schmerzen, Müdigkeit und eine Vielzahl
von anderen Symptomen. Um herauszufinden, an welchen Akupunkturpunkten
gearbeitet werden muss, ist die Anamnese und Diagnose nach TCM das A und O.
Ohne Puls- und Zungendiagnose ist die Behandlung keine Therapie nach der TCM.“
Welche Techniken werden bei der Akupunktur angewendet?
Johanna Stoll: „Es werden hauptsächlich 3 Techniken
angewendet: Tonisieren (stärken), sedieren (zerstreuen) und neutral. Darüber
hinaus gibt es eine Vielzahl von Techniken des Drehens, Bewegens und
Manipulierens der Nadel. Über Nadeltechniken und die Feinheiten der
chinesischen Meister gibt es ganze Bücher. Welche Technik angewendet wird,
richtet sich nach dem, was der Körper gerade braucht. Entscheidend ist sowohl
die Stelle als auch die Tiefe, in der genadelt wird.“
Eine Behandlung mit Nadeln klingt ganz schön unangenehm…
Johanna Stoll: „Die Intensität der Nadelung ist unterschiedlich. Gilt es eine
Stauung zu durchdringen, ist sie intensiver, als beim Auffüllen einer
Leere. Manche Patienten mögen zudem das De-Qi-Gefühl. Als solches
bezeichnet man das Druck-Gefühl, das wir verspüren, sobald das Qi erreicht
wurde.
Traditionell
wurden die Nadeln oft stark bewegt, um viel zu bewirken. Es gibt Therapeuten
und auch Klienten, die diese Methode bevorzugen. In unserem Kulturkreis wird
jedoch meist eine feinere Nadelung mit wenig Sensation angestrebt. Damit kann
der Effekt der Akupunktur gut eintreten. Es kommt zu keiner Verspannung durch
Schmerzsensationen. Die Akupunkturnadeln sind mittlerweile so perfektioniert,
dass sie fast widerstandslos in die Haut gleiten können. Die japanische
Akupunktur ist oft noch sanfter und berührt nur die Hautoberfläche.
Bei einem Blutmangel aus Sicht der TCM (Xu-Xue) können die Nadeln
ebenso intensiver erlebt werden. Mein Tipp, um diesem Gefühl vorzubeugen: Möglichst
frühzeitig vor der Behandlung Goji-Beeren naschen. Diese sorgen dafür, die Schmerzsensation
zu verringern.
Um das Schmerzempfinden einschätzen zu können, bleibe ich
mit meinen Patienten während der Nadelung in Kontakt. Es geschieht nichts, was
nicht im Einverständnis mit dem Patienten oder der Patientin ist. Der Punkt
wird zuerst berührt und getestet, ob die Akupunktur wirklich sinnvoll ist.“
Was kann bei der Behandlung eines sinnvollen Akupunkturpunktes bewirkt werden?
Johanna Stoll: „Akupunktur kann sehr viel bewirken. Sie wird
seit Jahrhunderten für diverse Probleme und Lebenslagen eingesetzt. Von der
körperlichen Wirkung haben schon viele gehört. Wie wohltuend sie aber auch auf
die Psyche wirkt, ist leider noch zu wenig bekannt. Denn ein ruhiger Geist hat
einen großen Effekt auf den Körper und andere Bereiche des Lebens, wie Partnerschaft und Erfolg.
Körper und Geist können harmonisiert werden, da in den Meridianen Energie fließt,
die einerseits den Körper bewegt. Andererseits wird das Fließen dieser Energie
auch als Emotion wahrgenommen. Das Fließen im Leber-Meridian kann beispielsweise
als Wut, das Fließen im Herz-Meridian als Freude gespürt werden.
Klassisch bewirkt Akupunktur, dass Schmerzen verschwinden,
indem der Grund, der sie entstehen lässt, beseitigt wird. Fast alle Schmerzen können
mit Akupunktur behandelt werden. Nicht umsonst gibt es Arzt-Praxen, die sich
rein auf Schmerzakupunktur spezialisiert haben.
In der ganzheitlichen Chinesischen Medizin wird auf die
Gesamtkonstitution geachtet und auch auf dieser Ebene behandelt. Ganzheitlich
heißt: Ursachenforschung und nachhaltig behandeln. Das wird nur von Therapeuten
angeboten, die die Chinesische Medizin und ihre Wurzeln und Wirkweisen erlernt
haben und auch dahinterstehen.“
Was können wir begleitend zur Therapie tun?
Johanna Stoll: „Begleitend zur Therapie ist es notwendig,
Energie aufzubauen. Zur Regeneration, zum gesunden Schlaf braucht man auch
Energie. Heutzutage sind viele Menschen so erschöpft, dass sie gar nicht mehr
zur nötigen Ruhe finden. Um in eine Ruhemodus zu kommen, brauche ich eine gesunde
Mitte. Dafür sind Goji-Beeren, Kakao (auch als Kakaonibs zum Knabbern) und Reishi zu empfehlen. Reishi hilft besonders, um Ruhe zu bewahren und die Mitte
zu stärken. Das ist der erste Schritt in Richtung Ruhe, Erholung und zu neuen
Kräften.
Diese Liste könnte ich nun ewig weiterführen. Viel entscheidender
ist es jedoch, die richtige Kombination von Präparaten herauszufinden. Denn wir
sind hochkomplexe Wesen und jeder Mensch spricht auf andere Wirk- und
Nahrungsstoffe an. Deshalb gibt es die sogenannte Individual-Medizin, die immer
mehr gefragt ist. Auf dieser Basis biete ich Kurz-Anamnesen (45 min) an, die
mit Puls- und Zungendiagnose die individuell richtige Kombination aus Sicht der
TCM feststellt. Diese Kombination besteht meist aus 3 Naturmitteln.“
Wo liegen die Grenzen der Behandlungsmethode?
Johanna Stoll: „Die Grenzen liegen da, wo ein sofortiges,
schulmedizinisches Eingreifen erforderlich ist. Bei starker oder gefährdender
Symptomlage, oder auch, wenn die Behandlung nicht vorankommt. Das ist sehr
individuell. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen eine baldige
Operation oder eine medikamentöse Intervention unbedingt notwendig sind.
Meiner Meinung nach sollte sich niemand zwingen, Schmerzen
lange auszuhalten oder schulmedizinische Behandlung verweigern, weil er nur auf
Alternativ-Medizin setzen will. Im Idealfall gehen beide Herangehensweisen Hand
in Hand. Mit dem Wissen der Meridianverläufe und mit Wärmeanwendungen kann man
nach einer OP beispielsweise sehr gut Narben entstören. Oder nachhaltig an Ursachen chronischer
Beschwerden arbeiten.“
Für wen ist Akupunktur geeignet?
Johanna Stoll: „Akupunktur ist für jeden geeignet, der nicht
gerade eine Nadelphobie hat. In diesem Fall sollte auf andere Techniken, wie
die ChiNeiTSang-Massage, Wärmebehandlungen oder Therapien mit Licht zurückgegriffen
werden. Oder eben eine Behandlung mit Nahrungsergänzungsmittel.
Besonders geeignet ist die Akupunktur für Menschen, die zur
Ruhe kommen wollen, Probleme oder Schmerzen haben, für die keine Ursache
gefunden werden, mit unspezifische Beschwerden wie Unwohlsein zu kämpfen haben,
Probleme im psychischen Bereich wie Trauer und Wut empfinden, Erschöpfung und
bei Schmerzen oder Rückenproblemen.“
Vielen Dank, liebe Johanna, für die tollen Infos.
Unsere Expertin
Schon
seit ihrem 16 Lebensjahr interessiert sich Johanna Stoll für alternative
Medizin. Nach der Ausbildung an einer Münchner Heilpraktikerschule war sie
zunächst bei der sozial-medizinischen Hilfsorganisation medico international
tätig, bevor sie sich an der Shou Zhong Schule Berlin, der AGTCM, in der TCM
weiterbildete. Über 20 Jahren arbeitet Johanna Stoll nun bereits nach der
chinesischen Lehre; seit 15 Jahren selbständig in ihrer eigenen Praxis in
München.
Was sie an der Naturkunde begeistert? Für Johanna Stoll gibt
es hiervon vieles: „Erstens ist es das Erkennen von Ursachen durch ein
hervorragendes System zur Früherkennung. Zweitens werden erkannte Ursachen
gezielt behandelt und nicht nur die Symptome unterdrückt. Die Ursachen werden
Schritt für Schritt, also nachhaltig, beseitig. So kommen die Symptome gar
nicht mehr oder nur sehr abgeschwächt wieder. Drittens spricht jedes Symptom
eine eindeutige Sprache. Unwohlsein und andere Beschwerden sind Botschaften aus
der Seele. Überhören wir sie, so können sie schlimmer werden. Wenden wir uns
ihnen zu, so erfahren wir ein Gefühl von Erleichterung“.
Neben einigen anderen klassischen Therapiemethoden wendet
Johanna Stoll in ihrer Praxis auch die Akupunktur an. Durch ihre persönliche
Erfahrung ist es für sie „zu einem unentbehrliches Tool geworden.“ Unsere Expertin
ist überzeugt: „Wenn man einmal selbst die angenehme Wirkung erlebt hat, ist
meist ein positiver Bezug dazu hergestellt.“
Kennen auch Sie es, dieses eine Ziehen am Körper, dass Sie
einfach nicht loslassen möchte? Dieses unangenehme Gefühl, das Ihr treuer
Begleiter ist, sich aber nicht erklären lässt? Nachdem wir nun einen Blick
hinter die Kulissen der Akupunktur geworfen haben, könnten wir den Fluss
unserer Lebensenergie, dem Qi, für diese Empfindungen verantwortlich machen.
Fragen Sie am besten gleich bei Ihrem Heilpraktiker nach und überzeugen Sie
sich selbst von der spannenden Technik der Akupunktur.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg!
Ihr Terra Elements Team
Bildnachweis: © Barselona Dreams- fotolia.com