Immer wenn wir uns einen spannenden Bereich der traditionellen chinesischen Kräuterkunde ansehen, treffen wir früher oder später auf das Qi. Wir haben Ihnen dieses bisher als Lebensenergie vorgestellt, die für den Energiefluss in unserem Körper verantwortlich ist. Als eines der ältesten Konzepte der TCM hat das Qi jedoch eine viel tiefer gehende Bedeutung. Um diese zu erfassen, haben wir TCM Expertin Johanna Stoll zum Interview getroffen.
Liebe Johanna, in der TCM ist häufig die Rede vom Qi. Was können wir uns darunter vorstellen?
Johanna Stoll: „Das Konzept einer Lebensenergie, die alles in Bewegung setzt und alles durchdringt, ist auch in unseren Breitengraden schon lange bekannt. Paracelsus, der große Arzt und Heilkundige des 15. Jahrhunderts erkannte bereits damals, ‚dass alles von einer Art göttlichen Energie durchdrungen ist‘. Durch diese Energie, Paracelsus nannte es Odem, in der östlichen Weisheit nennt man es Qi, wird alles bewegt und belebt.
Es gibt viele Betrachtungsweisen für das Qi. Im riesigen ‚Reich der Mitte‘, wie man China früher nannte, hat sich eine Vielzahl von Umschreibungen dafür entwickelt. Um das Qi zu fassen, kommt es auch darauf an, auf welcher Ebene man es betrachtet. Eine Sicht, mit der viele übereinstimmen, ist die des Dampfes über einem Reiskochtopf. Denn das Qi ist genauso beweglich und flüchtig wie Dampf und doch auch so nährend wie der Geruch von kochendem Reis. Es ist eine Eigenart der Chinesischen Medizin und der Sprache, alles in Bildern und Symbolen zu beschreiben. Dies zeigt sich in auch den chinesischen Schriftzeichen, Radikal, genannt. Für das Qi gibt es ein Zeichen, das symbolisch einen Reistopf mit Dampf darüber darstellt.“
Wie würdest du Qi beschreiben?
Johanna Stoll: „Ich persönlich beschreibe das Qi gerne als feines Wasser oder einen feinen Strom, der in unserem Körper fließt. Ähnlich wie Wasser hat das Qi feine Kanäle für seinen Lauf; wie das Wasser, das in Bächen und Flüssen bis zum Meer fließt. Ein weiterer Vergleich wäre Strom, der auf Drähten fließt. So ähnlich verhält sich auch das Qi: Es sammelt sich, es kann zu Stauungen und Überschwemmungen oder zu Mangel kommen. Den Vergleich mit dem Strom mag ich, weil Strom Dinge in Bewegung setzt und das Qi uns, gesteuert durch unseren Gedankenimpuls, in Bewegung setzt.
Wer dieses Wissen verfeinern und vertiefen möchte, dem empfehle ich das Buch ‚Das stille Qi Gong‘ von Ulli Olvedi.“
Du sprichst häufig von einem Fluss des Qi. Warum ist es wichtig, dass unser Qi fließt?
Johanna Stoll: „Um dies zu verstehen, kehren wir wieder zu dem Vergleich mit Wasser zurück. Wenn es stagniert, wird das Wasser faulig oder versickert und fehlt an anderer Stelle. In der Natur ist dieser Prozess häufig zu beobachten: Wenn Wasser sich staut, muss schleunigst gehandelt werden. In diesem Fall wird zum Beispiel Bewegung durch Regen oder Zu- und Abflüsse erzeugt. Schon bei einem kleinen Bach kann man sehen, wie durch Schlamm, Stöckchen, Steine, Äste und deren Verklumpung eine Blockade entsteht, die den Fluss des Wassers unterbricht, sodass das Wasser schließlich über die Ufer tritt.
Übertragen wir dieses Modell auf den Körper, sind Schmerzen wie beispielsweise Menstruationsbeschwerden oder Kopfschmerzen das Ergebnis. Hält der Zustand lange an, so können sogar Entzündungen die Folge sein. Da vom Lauf unseres Qi auch das mentale und emotionale Wohlbefinden abhängt, können auch psychische Effekte ausgelöst werden. Diese können sich in Form von Depressionen, Ängsten und auch Wutanfällen äußern. In diesen Fällen kann man sagen, dass sich das Qi sozusagen im Körper verknotet. Um dies zu verhindern ist es ratsam, in unserem Alltag für einen freien Fluss des Qi zu sorgen. Hierfür gibt es viele Mittel, sowohl im Bewegungsbereich als auch in der Ernährung.
Welche Mittel sind das denn?
Johanna Stoll: „Grundsätzlich bringt jede Bewegung etwas, die uns gut tut und uns ein bisschen über die Grenzen bringt gut. Dazu gehören unter anderem Tanz, Yoga, Tai Qi, Qi Gong, Fahrradfahren, Laufen, Schwimmen, und so weiter. Ein Zuviel an körperlicher Anstrengung, wie ständige Überforderung durch hartes Training, aber auch körperliche Arbeit mit viel Stehen oder schwer tragen, kann jedoch das Qi wieder blockieren und macht einen Ausgleich notwendig. Diesen schafft beispielsweise die Ernährung.
An Nahrungsmitteln dient der Geschmack des sauer-scharfen dem Fluss des Qi, da das saure dem Element Holz und dem Frühjahr zugeordnet ist, in dem alles in Bewegung kommt. Hierzu gehören Frühlingszwiebeln ebenso wie Zitronen. Aber auch Kurkuma ist ein hervorragender Qi-Beweger. Mit Kräutern sowie allem was grün ist und entgiftet kann man das Leber-Qi bewegen. Das Grün, die Leber und die Entgiftung sind der Wandlungsphase Holz und Frühling zugeordnet. Hierfür steht beispielsweise die Chlorella-Alge, die übersetzt „kleines, frisches Grün“ bedeutet.
Für ein fließendes Qi empfiehlt sich somit eine ausgewogene Lebensweise, die Bewegung und Ruhe beinhaltet, und gleichzeitig in der Ernährung sowohl die Freude am Genuss als auch das Gesunde im Auge behält.“
Was können wir tun, wenn das Qi aus dem Gleichgewicht geraten ist?
Johanna Stoll: „Ist das Qi schon außer Gleichgewicht geraten, kann eine Akupunktur für Befreiung an der richtigen Stelle sorgen. Dies kann zum Beispiel durch eine Kombination von Akupunkturpunkten, die man 'Ze Men', das Öffnen der 4 Tore, nennt. Unterstützend können Naturheilmittel und gezielte Bewegung eingesetzt werden. Bärlauch ist beispielsweise ein wunderbares Mittel, um aus dem Winterschlaf zu erwachen und der Frühjahrsmüdigkeit zu entkommen. Dieser kann in freier Natur gesammelt werden. Wer jedoch auf Nummer Sicher gehen will – es besteht die Gefahr der Verwechslung mit den giftigen Maiglöckchen – erhält das Kraut auf dem Markt oder findet ihn auch wunderbar in Form von Pesto.
Vielen Dank, liebe Johanna, für dein wertvolles Wissen zum Qi und dessen Bedeutung in unserem Alltag.
Unsere Expertin
Schon seit ihrem 17. Lebensjahr interessiert sich Johanna Stoll für alternative Medizin. Nach der Ausbildung an einer Münchner Heilpraktikerschule war sie zunächst bei der sozial-medizinischen Hilfsorganisation medico international tätig, bevor sie sich an der Shou Zhong Schule Berlin, der AGTCM, in der TCM weiterbildete. Seit über 20 Jahren arbeitet Johanna Stoll nun bereits nach der chinesischen Lehre; 15 Jahren praktiziert sie bereits selbständig in ihrer eigenen Praxis, seit zwei Jahren in München.
Tipps für ein fließendes Qi
Wie Johanna Stoll in unserem Interview betont, profitieren wir auf vielfältige Art und Weise von einem fließenden Qi. Damit Sie die Energie stets im Fluss halten, verraten wir Ihnen zum Abschluss noch ein paar einfache Tipps, die Sie ganz einfach in Ihren Alltag integrieren können.
Gönnen Sie sich Zeit für sich!
Von unserer Expertin haben wir erfahren, dass es innere Blockaden sind, die unser Qi ins Stocken geraten lassen. Manchmal resultieren diese von tiefsitzenden Problemen, die der Hilfe eines Experten / einer Expertin bedürfen. Hin und wieder jedoch können wir die eine oder andere Blockade selbst lösen. Wie oft schieben wir Probleme einfach so vor uns her, anstatt uns mit diesen auseinander zu setzen? Wie oft gehen wir Schwierigkeiten aus dem Weg, anstatt uns diesen direkt zu stellen? Indem wir im Alltag bewusst Zeit für uns selbst einplanen, können wir genau diesen Versäumnissen nachgehen.
Essen Sie regelmäßig!
Ein wichtiger Motor für unser Qi ist die Ernährung. Damit da Qi fließen kann, muss dieser Motor stets in Gang gehalten werden. Dies schaffen wir durch regelmäßiges Essen – bestenfalls im Einklang mit den fünf Elementen. Was das bedeutet? Wir starten mit einem warmen Frühstück in den Tag und nehmen im Laufe des Tages Lebensmittel diverser Geschmacksrichtungen zu uns, um die fünf Elemente abzudecken. Welche Prinzipien bei der TCM Ernährung gelten, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Nehmen Sie ausreichend gute Flüssigkeit zu sich!
Johanna Stolls Vergleich mit Wasser verdeutlicht es ganz deutlich: Ebenso wie unser gesamter Organismus, unsere Haut und auch unser Haar braucht das Qi braucht Flüssigkeit, um fließen zu können. Bestenfalls nehmen Sie täglich zwei bis drei Liter energievolles Wasser und ungesüßte Tees zu sich. Wie Sie sich diese mithilfe von Kräuter zubereiten, erfahren Sie in diesem Beitrag. Hier haben wir Ihnen Rezepte für Superfood Tees mit Beeren und Pilzen hinterlegt. Auch mit Wurzeln und Rinden gelingen wärmende Tees! Hier lesen Sie, wie Sie dabei vorgehen.
Wir wünschen Ihnen eine schöne Zeit!
Ihr Terra Elements Team
Bildnachweis: © Cristina Conti / adocbe.com